X. K. 8. Athen'- Fall (404).
129
unnachahmlichen weltberühmten Bildsäulen des Zeus und der Athene,
ungetröstet von allen seinen Weisen und Rednern und Dichtern und
Philosophen, den Göttern und den Staatsmännern fluchend, die dies
Elend über sie gebracht, bereitete mit ungescheutem Frevel sich noch
die letzte Lebenslust, oder starb in dumpfer Empfindungslosigkeit dahin.
§. 8. Athen's Fall (404).
Wiewohl Griechenland sich des persischen Jochs erwehrt und
vorerst die Gefahr von sich abgewandt hatte, in das sklavische, sitten-
lose, sinnlich beschränkte genußsüchtige Treiben des Orients mit hin-
eingezogen zu werden, wiewohl die Griechen selber bereits den Spieß
umgedreht und mit fortschreitendem Erfolg gegen ihre Angreifer gewendet
hatten, so fehlte doch noch viel, daß sie das asiatische Weltreich hätten
bezwingen und die Weltherrschaft an sich reißen können. So lange
das kleinlich eifersüchtige Städtewesen sie in beständiger Spannung
und feindlicher Erregung getrennt hielt und ihre Waffen gegen die
eignen Brüder kehrte, konnten sie nimmermehr als erobernde Macht
auftreten. Sollten sie aber das, so mußten alle die reichen Kräfte,
die sie bisher während ihrer Vereinzelung frei entfaltet und geübt
hatten, in ein anderes Gefäß umgegossen und unter eine monar-
chische Einheit gebracht, also die stolze Herrlichkeit der einzelnen
übermächtigen und sich abschließenden Städte mußte zerbrochen wer-
den. Damit wurde der Anfang gemacht in dem sogenannten pelo-
ponnesischen Kriege. So wie sich der Herr im Orient des einen
Reichs wider das andere bediente, um dessen Hoffart und überreifen
Hochmuth zu strafen und seiner Vermessenheit ein Ziel zu setzen, so
gebrauchte Er in Griechenland eine Stadt und einen Volksstamm
wider die anderen, und zwar zuerst die Spartaner und chre Bun-
desgenossen, um den unerträglich gewordenen Uebermuth der Athe-
ner zu brechen, die in Eitelkeit trunkene Stadt zu ernüchtern und ihre
weitgreifende Macht für immer zu vernichten. Bei der schon lange
glimmenden verzehrenden Eifersucht der beiden Städte gegen einan-
der bedurfte es nur eines unbedeutenden Anlasses, um den verderb-
lichen 27jährigen Krieg herbeizuführcn, der mit der völligen lieber-
Windung Athen's im Jahre 404 endete. Anfangs schien sich der
Kampf in unbedeutenden Verheerungen und kleinen Gefechten hinzie-
hen zu wollen, und nach zehnjähriger Kriegführung ohne bedeutende
Thaten und Erfolge durch den sogenannten Frieden des Nikias zu
Ende zu kommen. Als aber in Athen der durch seine Tugenden
wie durch seine Laster gleich gefährliche Alcibiad es, das Musterbild
damaliger athenischer Sinnesart, in eben so gewandter als gewifsen-
v. Rohden, Leitfaden. 9
TM Hauptwörter (50): [T14: [Athen Stadt Athener Sparta Spartaner Griechenland Krieg Perser Flotte König], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
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X. §. 9. Weitere Schwächung Griechenlands Sparta's Abnahme. 131
lagen sianden auf schwachen Füßen. Die Unsterblichkeit der Seele
' war ihm mehr nur eine Hoffnung als ein tröstender Glaube. Liebe,
Vertrauen und Dankbarkeit wollte er der Gottheit gezollt wissen; aber
seine Gottheit war ein bloßes Gedankending, denn den wahren Gott
kannte er nicht und die Volksgötter achtete er für bloße Gebilde der
irregeleiteten Phantasie. Deshalb hieß es auch gegen ihn, wie 400
Jahre später gegen den Apostel Paulus aus dem Areopag zu Athen:
es stehet aus, als wollte er neue Götter verkündigen; und er ward
zum Tode verurtheilt. Ein kleiner Kreis von Schülern und Verehrern
pflanzte nicht bloß die Samenkörner göttlicher Wahrheit, die sie in den
sokratischen Unterredungen empfangen hatten, fort, sondern entwickelten
ste zu noch viel größerer Kraft und Klarheit, so daß Plato's und
Aristoteles' philosophische Systeme gar Vielen noch'in späterer Zeit
die Brücke zur reinen christlichen Erkenntniß wurden. Die Masse
aber des Volks, wiewohl durch den traurigen Ausgang des Kampfes
etwas erschreckt und beschämt und von ihrer thörichten Demokratie und
Ochlokratie etwas zurückgcbracht, war doch unfähig und auch unwillig,
in solche philosophische Gedankenreihen einzugehen, und ermangelte der
sittlichen Kraft, um den inwendigen bösen Feind ihres Gemeinwesens
siegreichzu bekämpfen. So erging es ihnen denn, wie S o kra t es ge»
weissagt hatte, nämlich daß nach seinem Tode viel schärfere Ruthen
über sie kommen würden, als sie an ihm gehabt hätten.
9, Weitere Schwächung Griechenlands. Sparta's
Abnahme.
Nach der Demüthigung Athen'ö war Sparta das unbestrittene
Haupt von ganz Griechenland. Aber es war nicht das alte Sparta
mehr. Durch den Krieg selber war es auf Wege geführt worden,
welche seinen heimischen altehrwürdigen Einrichtungen durchaus zu-
wider waren. Es hatte Flotten ausrüsten, Miethstruppen anwerben,
Geldmassen in Umlauf setzen, Gesandtschaften absenden und Bünd-
nisse mit fremden Völkern, sogar mit den Persern abschließen müssen,
und trat jetzt ungescheut die von Athen überkommene Erbschaft an,
nämlich Handelsverkehr und Seeleben, Lurus und Ueppigkeit, Demo-
kratie und Weiberherrschaft, übermüthige Behandlung der Bundesge-
nossen und trotziges Streben nach tyrannischer Alleinherrschaft und
nach Ausbreitung seiner Macht und seines Ruhmes in fremden Län-
dern. Da in Griechenland sich für den Augenblick Alles vor Spar-
ta's Uebermacht beugte, so nahm es zunächst die seit Kimon'ö Tode
ruhenden Kriege gegen Persien wieder auf. Eben schien sich in dem
großen Weltreich eine treffliche Gelegenheit zu kriegerischen Unterneh-
mungen aufzuthun. Gegen den Artarerres Ii. hatte sich sein Bru-
der, der jüngere Cyruö, empört und warb griechische Hülfstruppen
an. Der Spartaner Klearchos begleitete ihn mit 13,000 Mann
9'
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Extrahierte Personennamen: Apostel Paulus Klearchos
X. §. 4. Athen und Sparta.
121
der Wein- und Kornernte zu Ehrendes Dionysos und der Deineter
oftmalig zu Sitzen mogischer Sühnungsversuche oder ausgeklärter reli-
gions-philosophischer Systeme wurden.
8. 4. Athen und Sparta.
Obgleich die Griechen kein gemeinsames Haupt, also auch keine
Hauptstadt hatten und jede kleine Stadt Anspruch machte auf die
volle Selbständigkeit eines unabhängigen Staats, so traten doch all-
mälig einzelne bedeutendere Städte in den Vordergrund und mach-
ten die umliegenden kleineren Ortschaften von sich abhängig. Eine
Stadt aber gewann im Lauf der Jahrhunderte das Uebergewicht über
alle anderen und einen geistigen Vorrang, dem sich bewußt oder un-
bewußt alle anderen kleineren Staaten des Mittlern Griechenlands
unterordneten. Das war die Stadt Athen. Die politische Macht
ihrer Könige oder, nach Abschaffung der Könige, der Archonten und
Aristokraten, erstreckte sich zunächst nicht über das kleine Gebiet von
Attika hinaus, das inselartig sich in's Meer streckt und die ionischen
Bewohner fast mit Gewalt zur Beschäftigung mit dem Seewesen zu
drängen schien. Athen war und ward immer mehr der Hauptsitz der
griechischen Cultur und geistigen Entwicklung, die fruchtbare Mutter
der geistvollsten Philosophen, Redner, Schriftsteller, Dichter, der ge-
feiertsten Helden, Staatsmänner und Künstler. Das geistreiche, be-
wegliche, unternehmende Wesen der Griechenwelt, wie es vor allen
Dingen nach Freiheil und nach Schönheit ringt, prägt sich im athe-
nischen Volkscharakter in vollkommenster Weise aus.
Als Widerlage und Gegenbild des anmuthig leichten, spielenden
athenischen Wesens, welches gar zu leicht die Fülle der ihm inwoh-
nenden Kräfte im jugendlichen Eifer verbraucht hätte, hatte der Herr
aber noch eine andere Stadt und Staat großgezogen, die als im-
merwährende Nebenbuhlerin und neidische Aufpasserin die Athener
zwingen sollte, sich zusammenzunehmen und zu vertiefen und dem
Ernst des Lebens gehörig Rechnung zu tragen. Diese Stadt war
Sparta. Sie war von jenem andern griechischen Hauptstamm, den
rauheren Dorern, gegründet, hatte ihre Entstehung den Kriegsthaten
der von Norden her einbrechenden dorischen Schaaren zu danken und
hatte durch Waffengewalt ihre Herrschaft über Lakonien hinaus, über
Messenien, fast über den ganzen Peloponnes ausgedehnt. Auf den
ersten Anblick schienen die Spartaner sowohl der Bildung als dem
schönen Lebensgenuß völlig abgewandt. Sie zeigten sich als Ver-
ächter aller Künste und Wissenschaften, als roh und abgehärtet in
ihrem Hauswesen und in ihrer Lebensweise, und gegen jede geistige
TM Hauptwörter (50): [T14: [Athen Stadt Athener Sparta Spartaner Griechenland Krieg Perser Flotte König], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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122
X. §. 4. Athen und Sparta.
Ausbildung und Entwicklung grundsätzlich verschlossen. Aber sie
konnten ihren griechischen Nutionalchurukter doch nicht verleugnen.
Auch sie huldigten der Schönheit, aber nicht der zarten, weichlichen,
künstlichen Schönheit, sondern der gediegenen, kraftvollen, natürlichen
Schönheit, die sich in der männlichen Stärke und Tapferkeit, in der
vollendeten Gewalt über den Körper, auch über Schmerz und Leiden-
schaft offenbart. Aus Büchern und Vorträgen wollten sie freilich
ihre Bildung nicht schöpfen, aber die naturwüchsige Bildung, was
Wir Mutterwitz nennen, brachten sie bis zum höchsten Grade der
Vollkommenheit. Die eben so kurzen als sinnreichen lakonischen Ant-
worten sind noch heute berühmt. An Freiheitslust und Thatendrang
wetteiferten sie mit den Athenern, nur daß sich bei ihnen das Stre-
den nach Freiheit alö Herrschsucht offenbarte, zu deren Befrie-
digung sie sich die großle Selbstzucht und Beschränkung der indivi-
duellen Willkür auferlegten, damit sie, jeder Einzelne, alö Glieder deö
herrschenden und gefürchteten Gemeinwesens desto größere Ehre und
Herrlichkeit selber genössen.
Beide Staaten, Athen und Sparta, verdankten ihre Verfassung und
innere Einrichtung zwei berühmten Gesetzgebern. Lykurg, der Gesetz-
geber von Sparta, lebte schon in sehr alter Zeit (man nennt gewöhn-
lich das Jahr 888, richtiger 800), ein Zeitgenosse der Propheten Elias
und Elisa und der ersten Ueberwältigung Rinive's durch den Meder
Arbaces und den Babylonier Belesys. Auf langen weiten Reisen
soll er sich die Weisheit eingesammelt haben, die er unter seinem Volk
als Gesetzgeber offenbarte. Sollte er auf diesen Reisen nach Asien und
Aegypten nicht atich die mosaische Gesetzgebung kennen gelernt haben?
In einem Hauptpunkte stimmten seine Gesetze merkwürdig mit den mo-
saischen zusammen, nämlich in der Gründung des ganzen Staats auf
den unveräußerlichen Grundbesitz der einzelnen Familien. Jedes spar-
tanische Familienhaupt hatte seinen Acker, den es weder verkaufen, noch
vertauschen, noch vertheilen durfte. Aus ihm mußte es seine Bedürf-
nisse ziehen, seine einfachen Geräthe mußte es sich selber anfertigen, kei-
nerlei Lurus, Bequemlichkeit, Handelsverkehr wurde geduldet, selbst
das Geld war verbannt. Aber anstatt daß die Kinder Abraham's die
Verheißung hatten, frei und froh in behaglicher Ruhe unter ihrem
Weinstock und Feigenbaum zu sitzen, sollte der Spartaner die Freuden
des Landlebens nicht schmecken, sein Gut mußte er durch Leibeigene
verwalten lassen; er selbst aber sollte keine andere Beschäftigung, keine
anderen Gedanken haben, als die vollkommenste Ausbildung aller Lei-
des-- und Seelenkräfte zum Dienst des Vaterlandes. Wie die Beschäf-
tigung, so war ihm auch die Form deö häuslichen Lebens vorgeschrie-
be«; seine Ehe, seine Kindererziehung stand nicht in dem Belieben des
Einzelnen, sondern wurde durch den Rath der Alten geordnet nach
der Rücksicht des öffentlichen Wohls. Es ist nicht zu leugnen, daß
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Extrahierte Personennamen: Elias Elisa Belesys
Extrahierte Ortsnamen: Sparta Athen Sparta Sparta Asien
X. §. 5. Die klrlnasiatlschen Griechen.
123
diese außerordentliche Selbstzucht das spartanische Gemeinwesen groß
gemacht, ihm Siege perschafft, ihm eine Zeitlang die Herrschaft über
ganz Griechenland in die Hände gegeben und 500 Jahre lang die Ei-
genthümlichkeit des spartanischen Volks in rühmlicher Weise gesichert
hat. Aber sie zertrat mit tyrannischer Gewalt alle zarteren Empfin-
dungen des Menschenherzens und von den christlichen Tugenden:
Liebe, Friede, Freude, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit. Glaube,
Sanftmuth, Keuschheit, hatte weder der Gesetzgeber noch sein Volk auch
nur die leiseste Ahnung.
Fast dreihundert Jahre später, um die Zeit da Jerusalem dem
Schwert des N ebucadnezar erlag, empfing auch Athen seine Gesetz-
gebung , und zwar durch den Solon. Aber die solvnische Gesetzge-
bung wirkte weder so durchgreifend und umgestaltend, noch auch so
lange Zeit hindurch wie die lykurgische. Auch Solon hat seine
Weisheit auf Reisen gesammelt. Er war zwar auch aus königlichem
Geschlecht wie Lykurg, aber er trieb Geschäfte als Kaufmann, wie fast
alle Athener, und man steht es seiner Gesetzgebung an, daß sie auf
einem kaufmännischen Boden gewachsen ist. Eintheilnng der Bürger
nach Vermögensclassen, Feststellung der Abgaben, des Zinsfußes, Re-
gelung des Verkaufsrechtes, das und dergleichen bildete einen Haupt-
theil der Gesetze; dann die politischen Vorrechte, die wieder mit Pen
Vermögensclassen Zusammenhängen, die Rechte ver Archonten, des Raths
der 400, des Areopag, und der Volksversammlung wurden sorg-
fältig gegen einander abgewogen, eine gemäßigte Volksherrschaft ein-
geführt. In sittlicher Beziehung sind die Gesetze sehr unbedeutend und
wurden nie recht beachtet; die Verfassung aber wurde so oft geändert,
als die augenblickliche Laune oder die Umstände den Wunsch nach einer
Aenderung erregten. Kaum hatte Solon nur den Rücken gewendet,
so gerieth schon wieder Alles in Verwirrung, und nur schwer gelang
es den Pisistratiden, durch eine Art Alleinherrschaft (Tyrannis) die
wüthenden Parteikämpfe zu hemmen und eine bessere Ordnung herzu-
stellen.
§. 5. Die kleinasiatischen Griechen.
Die Gesetzgebung des Solon und die sich daran schließenden
politischen Kämpfe in Athen führen uns schon ganz nahe an die Zeit
der großen kriegerischen Erhebung Griechenlands gegen die persischen
Unterdrückungsversuche. Gleich nach Solon's Zeiten hatte Cores,
der Knecht Gottes, die Herrschaft des asiatischen Weltreichs ange,
treten, und der lydische König Crösus, den er bezwang, erinnerte
sich (nach der Sage) in seiner Todesnoth noch an den Besuch des
weisen Solon in Sardes, der ihm gesagt, daß Niemand vor seinem
Tode glücklich zu nennen sei. Zu dem Staatsverband des lydischen
Reiches gehörten abermch die griechischen Colonieen, Staaten und Städte
an der asiatischen Küste des agaischen Meeres, deren ansehnlichste Milet
war. Diese geriethen also zugleich mit dem lydischen Reich und dem
TM Hauptwörter (50): [T14: [Athen Stadt Athener Sparta Spartaner Griechenland Krieg Perser Flotte König], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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X. §. 7. Griechenlands Blüthezeit.
127
hatte begonnen. Ihre politische Macht wurde auf die höchste Stufe
gehoben zunächst durch drei hervorragende Männer, die gleichsam
einander die Hand reichten: 1) durch die glücklichen Feldzüge des
Kim on, der den Hellespont und Byzanz, Cypern und sämmtliche
Inseln an der kleinasiatischen Küste gewann und durch seinen herrli-
chen Doppelsieg am Eurymedon 469 die Perser zwang, die ganze
Westküste Klein-Asiens mit allen griechischen Städten bis auf eine
Tagereise weit vom Meer den Griechen zu überlassen. 2) Durch die
Uneigennützigkeit und Gerechtigkeit des Aristides, der sämmtliche
Inseln des ägäischen Meers sammt den Küstenstaaten Klein-Asiens
bewog, in eine Waffengenossenschaft mit Athen zu treten und jährlich
bestimmte Beiträge in einen gemeinsamen Bundesschatz zu liefern,
welcher zur Fortsetzung des Krieges gegen die Perser verwendet wer»
den sollte. Die Verwaltung des Schatzes und die Führung >'des
Krieges wurde aber Athen überlassen und dadurch dieser Stadt eine
Gewalt eingeräumt, welche sich bald zur völlig ausgebildeten See-
herrschaft und zu einer herrischen Behandlung der Bundesgenossen,
als wären sie Unterthanen, entwickelte. 3) Durch die glänzende
Staatsverwaltung des Perikles, des großen Philosophen, Redners
und Politikers, der die hervorragende Stellung Athens meisterlich
auszubeuten und alle seine Machtmittel zu entfalten verstand, der
aber auch zugleich durch seine Bauten und Begünstigung der Künstler
Athen mit den Meisterwerken der bildenden Künste versah, welche
wir noch heute als unübertroffene Muster bewundern. Welch
ein Kreis großer Meister hatte sich damals in Athen gesammelt, oder
war doch aus Athen hervorgegangen. Der gefeierte Bildhauer Phi-
dias, der Maler Po ly gno tos, des noch berühmtern Zeuris Vor-
gänger, die drei groffen Tragiker Aesch ylos, Sophokles und
Euripides, der schöpferische Komiker und tiefe Menschenkenner
Aristophanes, der Vater und der Meister der Geschichtschreibung
Herodot und Thukydides, die Gründer der verschiedenen Philo-
sophcnschulen Anaragoras, Heraklit, Zeno und der vielbewun-
derte Sokrates mit seinen Schülern — das waren nur einzelne
der hervorragendsten unter den großen Geistern jener Glanzperiode
Griechenlands. Wie viel andere zweiten und dritten Ranges standen
noch neben ihnen und halfen Griechenland, insonderheit Athen zur
großen Pflanzstätte aller Kunst und Weisheit des Alterthums, und
die Griechen zu Erziehern der gesummten Menschheit zunächst der
damaligen alten Welt, zu Vorarbeitern und Wegebereitern der aposto-
lischen Heilöboten zu machen.
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128
X. §. 5. Griechenlands Blüthezeit.
Das wäre freilich ein großer Jrrthum, wenn man annehmen wollte,
daß in demselben Maße, wie Kunst und Wissenschaft und äußere Herr-
lichkeit, so auch die Sittenreinheit, Frömmigkeit, Lauterkeit und Treue
der Griechen zugenommen hätten, oder als wenn die vorhin genannten
Helden und Meister auch als Menschen bewundernswerth und untadel-
haft gewesen wäre. Gerade das Gegentheil. Nur etwa Aristides
könnte noch als Muster republikanischer Tugenden gelten. Dagegen ist
das Bild des Miltiades und Kimon schon mit vielen Zügen von
Unlauterkeit und Herrschsucht befleckt; Themistokles und Pausa-
rías wollten später sogar ihr Vaterland an die Perser verrathen, und
auch Perikles scheute nicht vor Betrug und Gewaltthat zurück, wo
es galt, die Macht seiner Vaterstadt und den Glanz seines Namens zu
vermehren. Und welch einen traurigen Einblick in sein Privatleben
empfangen wir. wenn uns berichtet wird, daß er seine eigne Gemahlin,
die Mutter seiner hoffnungsvollen Söhne, verstieß, um die bewunderte
Hetäre Aspasia zu heirathen. Aber auch er wurde in dem gestraft,
worin er gesündigt. Seine Söhne wurden hinweggerafft in der Blüthe
ihrer Jahre, und die Gunst des Volkes, um die er zeitlebens gebuhlt,
wandte sich in seinem Alter von ihm ab, und bereitete ihm tiefe De-
müthigungen.
Etwas mehr sittlichen Halt gewährte den Spartanern ihre an-
ererbte gesetzliche Zucht und Selbstbeschränkung und nicht minder ihre
Abwendung von dem größern Reiz des Seewesens und dem ver-
führerischen Verkehr mit den astatischen Völkern. Sie begnügten sich,
ihre Landmacht zu vermehren und auf dem Festland Griechenlands
ihre Herrschaft auszubreiten. Aber auch unter ihnen — wie viel Be-
stechlichkeit der Führer, wie gefährliche Ansätze zu treuloser Vergewal-
tigung ihrer Bundesgenossen, zu einem herrischen, rücksichtslos grau-
samen Regiment über die unterworfenen Stämme. Beide Städte,
Athen und Sparta, wurden bald nach einander von der warnenden
Hand des unerkannten Gottes schwer getroffen. Im Jahr 465 wurde
Sparta durch ein schreckliches Erdbeben verwüstet. Bis aus fünf Häu-
ser war die ganze Stadt in eine Masse unförmlicher Ruinen verwan-
delt, an 20000 Menschen lagen erschlagen unter den Trümmern. Und
dennoch, als nun der König schnell vor der Stadt die Schlachttrompete
blasen ließ, da sah man — eine Wirkung spartanischer Zucht und
Selbstüberwindung — ohne Säumen die sämmtlichen noch übrigen
Männer das ihnen näher liegende Unglück vergessen und bewaffnet
herbeieilen, um die etwa herandringenden feindlichen Nachbarn abzu-
wehren. Welch ein anderes Gemälde stellt sich uns in Athen dar, als
es im Jahre 430 von der Pest heimgesucht ward und die gesammte
Bevölkerung dem unerbittlichen Schwert des Würgengels anheimge-
fallen schien. Da lag das souveräne Volk, welches seit langer Zeit
^kein anderes Gesetz und keine höhere Macht als seine eigne launische
Willkür anzuerkennen gewohnt war, in unsäglichem Jammer und trost-
loser Verzweiflung auf der Straße, an den Brunnen, mitten unter den
Prachtbauten der Propyläen, des Parthenon, des Odeon, in den Hal-
len der stolzen und zierlichen Tempel und Theater, zu den Füßen der
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